Seilschaft Michi Wyss und Rolf Glauser
Die Einen sammeln Vier-, die Andern sogar Achtausender …weiterlesen
Seilschaft Michi Wyss und Rolf Glauser
Die Einen sammeln Vier-, die Andern sogar Achtausender. Das ist heute ja schon fast banal. Wie wärs zum Beispiel mal mit: "Die hässlichsten Berge zwischen 3600 und 3800m Gipfelhöhe der Schweiz" (womit auch das Horu ausgeklammert ist)? Ich kenne Jemanden, der sammelt alle Hütten und Biwaks des SAC, was eigentlich nicht nur origineller ist, sondern auch weniger anstrengend sein sollte - haben wir gemeint. Soviel zu Statistiken und damit war auch das Mischabeljochbiwak gewählt - nur: was machen wir drum rum? Bekanntlich schläft Mann und Männinen nicht besonders gut in grossen Höhen und schon gar nicht in 4-fach belgten Betten. So ein wallischer Megabibel wäre auch etwas gemütlicher in drei Tagen. Zudem gehören wir zu den Deppen, die für Food und Dach überm Gring auch noch arbeiten müssen. Wie machen das bloss die CEO's? Liebe Korsaren und Freibeuterinnen, die die unendlichen Wogen des Webs auf dieser Seite haben Schiffbruch erleiden lassen, wir haben einen Ausgang aus diesem Labyrint von Problemen gefunden:
-Anreise Freitag Nachmittag zur Täschalp und Übernachtung in gleichnamigem Hafen mit Massenlager.
-02.00h: Anker lichten und mit steifem SW Kurs über die Moräne zum nördlichen Weingartengletscher (um 02.30h Positionslichter gelöscht). Der ausklingende Vollmond verzaubert die letzten Wolkenfetzen an den Graten. Überm zermattenden Talboden bilden sich feine Morgennebel. Nach einigen hundert Metern Malströme aus mittelübler Geröllscheisse erreichen wir die ruhigen Wasser der Gletscherzunge. Agschirre und behufen! Der angenehme Seegang des Gletschers schaukelt uns zum Beginn der SW-Rippe auf ca. 3800m. Die Kombüse wird aufgesucht. Das beginnt ja wie ne bilderbuch Hochtour! Hier sehen wir auch das Mischabeljochbiwak zum ersten und letzten mal. Nun den Grat hoch in schönster Kletterei (im 1. Drittel bis III) zum Vereinigungspungkt mit dem SO-Grat unterhalb Kote 4175. Weiter in beschaulichem Gehgelände (wenn nur diese angeblich so gesunde Bergluft nicht so dünn wäre) auf 4200m zum Beginn des ehemaligen Firnteils. Zum Glück ist der Fels darunter nicht auch noch in Auflösung begriffen. Jetzt steilt die Müsik bedrohlich auf (4350m) und leicht rechts haltend die Schlusswand hoch zum Gipfel (als der lose Fels früher noch angefroren war, hat das vielleicht mal Spass gemacht). Schlechte Sicherungsmöglichkeiten!!!
Michi und ich schauen uns unterm Gipfelkreuz mit langen Gesichtern und hängender Zunge an. Der Laderaum dieser fetten Galleone ist ja fast leer! Zuerst mal ne dünne Sieges-Zigi. Überflüssigerweise tauchen am westlichen Horizont die grauen Zirren der königlichen Kriegsflotte auf und rund um uns köcherln die Grate bereits unfreundlich. War das ne Falle? Gloisi ist die Lust zum Fotografieren schon in der Schlusswand vergangen. Kurzer Kriegsrat - ein kräftiger Schluck virtueller Rum - und wir halsen unter Vollzeug zur Flucht auf raumem Kurs die NW-Flanke runter. Eine gute Spur in ebenso gutem Trittfirn und freie Sicht zum obersten Gletscherbecken des nördlichen Kingletschers haben unseren Entscheid erheblich beschleunigt.
Wir folgen ausserst vorsichtig der Spur (ganz oben 45°, dann 40° und weniger). Jeder von uns denkt an die Viererseilschaft, die es hier letztes Jahr abgetischt hat. Die Route biegt dieses Jahr nach rechts ab und über ner ühüere langen Spalte (mind. zwei Drittel der Flankenbreite) taucht ein einsamer Firnanker auf. Gloisi opfert sein Alinghi-Geppi, Michi ne sündhaft teure Black-Diamond Eisschraube (beide unfreiwillig). Dann seilen wir 15m ab. Unten steckt die Schraube in der komplett zugeschneiten Spalte. Nun einfacher zum entspannenden Gletschergüpfi Kote 3812. "Ändlich wider in vernünftiger Höchi! Hesch au ständig an d'Östricher miesse dengge?" Ich nicke erleichtert. Die Kombüse wird endlich wieder mal geöffnet. Es folgt eine 2., etwas dickere Sieges-Zigi und der obligate Kriegsrat. Das Studium der Seekarte und eines erbeuteten alten Logbuchs plus Piratenerfahrung ergibt die beste Lösung: statt schon wieder um 02.00h von gipfelgeilen Sportskadetten geweckt zu werden, nehmen wir 1 Stunde längeren Abstieg in Kauf = erhohlsames Ausschlafen und setzen Kurs auf die Kinhütte. Wir träumen beide von einem angenehmen Fahrwasser mit weiss-roten Bojen. Aber diese Kaperfahrt ist noch nicht zu Ende. Wir umsegeln das Güpfi auf Frontzacken (45°, zum Glück sind wir nicht runter gesegelt) und halten auf die Kinfelsen zu. Das Gletscherchen sieht da unten ungastlich aus. Die Kinfelsen unterhalb Kote 3635 geradezu abschreckend, nicht nochmals klettern! Herrgott, wo ist all der verdammte Firn auf den schönen Bildli des alten Logbuchs nur geblieben? Da unsere Fregatte bisher unbeschädigt geblieben ist, nehmen wir die aufgewühlten Wasser dieses Miststücks unter den Kiel und entdecken doch tatsächlich ne weitere Spur. Zum Glück sind unsere lieben Vorgänger nicht alle über die Festi-Kinlücke entschwunden. Nach nunmehr letztem Frontzackeneinsatz (aua, meine armen Zehen) können wir in der Gletscherzungenbucht nochmal kurz Anker werfen und einen Zaubertee brauen. Wenigstens den Kocher nicht vergebens mitgeschleppt, wenn schon das Biwak flöten gegangen ist! Nach Querung des schönsten Alpenrasens (Kintole), den ich je zu sehen glaubte, machen wir nach 19h Abenteuer pur im Piratenhafen Kin fest.
So, meine lieben Robinsons, auf der ganzen Tour haben wir keine Menschenseele getroffen, nur deren Spuren. Dieser Bericht soll Euch ermutigen, dass Ihr auch aus eigenen Kräften diese einsame Insel wieder verlassen könnt.
Soweit der antike Originalbericht eines gewissen Gloisi (leider weilt er immer noch unter uns). Fehlt nur noch, dass diese beiden Volldeppen nachher behaupten, sie hätten diese völlig überflüssige und gefährliche Tour mit Nagleschuhen, roten Socken, Kniggebockers und zweimeter langen Eisäxten verbrochen! Und das unter dem fadenscheinigen Vorwand, damit die Väter der Grüderzeit zu ehren. Und dann noch mit einem Hanfseil - ich hätte das lieber selber geraucht. Dabei gibts heute ja so angenehme Ertüchtigungsmöglichkeiten wie Golf, Tennis oder Beachvolleyball! Um das Abschreckende und Sinnlose solchen Treibens nochmals zu unterstreichen, lassen wir diese beiden Gauner ein letztes mal zu Worte kommen: "Gäll, hüt dengge mr, das wett I nie meh widerhole, und scho Miti nöggschti Woche troime mr vo n'eme neue Mischt!"
Viel Vergnügen beim rausknobeln der vernünftigen Stellen.
Alleine verantwortlich für Text und Bild: Rolf Glauser ⇐
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