(Peter Teibinger und Rolf Glauser)
Jeder kennt die Schoggiansicht vom Hörnligrat und wenn ma …weiterlesen
(Peter Teibinger und Rolf Glauser)
Jeder kennt die Schoggiansicht vom Hörnligrat und wenn man vom Bergsteigen einem Nichtbergsteiger erzählt, ist meist die erste Frage: warst du schon auf dem Matterhorn? Dann die Geschichten, wie man im Stau steht, weil sich alle Grampini hier versuchen müssen oder wie die Bergführer einen den Grat hoch zerren und dann wieder runter jagen, so dass am Ende nur die Erinnerung an einen riesen Stress ohne jeglichen Erlebniswert bleibt. Also hab ich ds Horu schon länger aus meiner Tourenliste gestrichen (ausser dem Zmuttgrat vielleicht) und jegliche Bewunderung dieses Berges mit Verachtung quitiert - steht da nicht auch Angst dahinter?
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Peter und ich haben uns eigentlich während der Combin-Tourenwoche so richtig kennen gelernt. Am Ende kommt er doch tatsächlich mit dem Wunsch zu mir, dieses hüere Horu zu machen, noch diesen Sommer – ich sage spasseshalber zu und winke innerlich ab – da wird wohl noch viel Wasser den Rhein runter fliessen! Dann Mitte August ein mail: was ich vom Weisshorn halte als Trainingstour fürs Matterhorn? Fürs Erstere bin ich sofort dabei, aber... verdammt, lässt der Kerl denn nie locker? Wir sind dann 70m unter dem Bishorngipfel gescheitert, weil das dritte Gspönli eingebrochen ist. Anfang September dann der Bianco vor dem Dauerregen-Wohenende; ich glaubte, nun diese Hochtourensaison äusserst befriedigt abschliessen zu können. Nicht so Peter! Nach ner Woche folgt ein Funk, wie ich ds Horu heuer einschätzen würde? Ich winke schon fast entrüstet ab und empfehle ihm wärmstens, sein Alternativprogramm: Klettern in Griechenland durch zu führen, statt in der Horu-Ostflanke ab zu stürzen. Dann steht’s Montag morgens sogar im 20-Minits: Bergsteiger unterhalb der Solvay 400m zu Tode gestürzt!!! Ich erschrecke - ist der Tubbel jetzt doch gegangen?!? Am Mittag ein banger Anruf, Peter meldet sich sofort, Gott sei Dank! Er lacht und findet meine Sorgen äusserst rührend, ob ich sein mail nicht gelesen hätte? Ich weiss auch so sofort, was drin steht. Der Wetterbericht fürs kommende Wochenende ist exzellent. „Ich will nächsten Montag nicht schon wieder in der Zeitung von einem Absturz am Matterhorn lesen, also stürze ich lieber mit ab!“ ist meine Antwort. Ich gebe zu, die kommenden Stunden kitzelt’s mich ordentlich, doch dann wächst wieder die Angst.
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Donnerstag Abend, ich bin, glaub ich, noch nie so nervös gewesen vor einer Tour. In meinem Geiste sehe ich glasierte Felsen, weggleitende Schneehänge und Bergsteiger – die ganze Tour findet in reinem Absturzgelände statt. Mein einziger Halt ist mein Wissen, kompromisslos umkehren zu können! Um Eins noch schnell die Beschreibungen und Fotos von Biner und Brandt aus den schlauen Büchelchen gescant und ausgedruckt. Ich muss hier schon noch erwähnen, dass vor allem die Routenbeschreibung von Biner ausgezeichnet und ungewöhnlich ausführlich ist. Offenbar hat es die Air Zermatt satt, ständig physisch oder psychisch Tote aus der Wand zu fliegen...
Als wir den Coop vis à vis vom Bahnhof in Zermatt verlassen, sind unsere Säcke wieder schwer. Nun ja, zur Hörnli sind’s ja nur zweieinhalb Stunden. Wir überspielen die Spannung mit einigen Sprüchen und sind 2 Stunden später oben, Peter und keine Bremsen. Das ehemalige Hotel ist verrammelt, die Sonnenterrasse leer. Gleich dahinter steilt der Berg unheimlich an. Ich versuche mir den Rummel hier oben im Sommer vorzustellen, bin zum ersten mal da. Der Hütteneingang ist um die Ecke, durchs Fenster. Innen ist es kalt, der Kochherd mit einem Stahlgestell verschlossen. 3 Pfännlein zieren die Küche, dafür hats viele Teekrüge, Teller und Tassen, aber kein Besteck. Jede Schublade, jedes Schranktableau wurde ins Tal geflogen – wenigstens reichlich Wolldecken auf den 15 Betten. Peter hatte zum Glück vorgängig angerufen, wir haben den Benziner mit, aber vom Besteck hatte sie nichts gesagt... Was soll’s, wir sind ja zum Bergsteigen hier – ich spüre, das passt irgendwie zu diesem Berg, hat nichts mehr mit Schoggibildli zu tun. Wie empfohlen, stehen wir angeschirrt, aber die Hufe noch im Rucksack, kurz darauf am Einstieg 5 Min. hinter dem Luxushotel. Das erste Fixseil ist noch nicht ins Tal geflogen worden, zum Glück! Ein senkrechter 3m Riss mit vereisten Tritten empfängt uns, darüber dann einfaches Gerümpel. Die Schneeflecken sind noch klein, aber gefroren, die ganze Ostflanke liegt schon im Schatten des bösen Horns. Wie Fährtensucher beobachten wir die Steigeisenspuren, Steinmänner, Schlingen, Stifte und Bohrhaken. Das 1. Couloir ersteigen wir an seiner rechten Seite, das 2. wird links unten liegen gelassen und nun steilt’s ein kurzes Stück auf dem Grat an, bis nach links in das 3. gequert wird, um es zu ersteigen. Hier kehren wir um. Ich hab mir das Ganze irgendwie ganz anders vorgestellt. Die Hälfte des Weges ist klettern, auch wenn einfach, wenn man sofort die richtigen Griffe und Tritte erwischt! Nach unten brauchen wir nur noch die halbe Zeit. Hoffnung und gegenseitiges Vertrauen sind gestiegen. Eine prächtige Stimmung vor der Hütte, wenn’s nur nicht so saukalt wäre. Inzwischen sind zwei weitere Kandidaten eingetroffen, Landsleute von Peter. Mein Kocher läuft nur mit halber Kraft und die Carbonara essen wir mit dem Löffel unserer Zimmergenossen, freuen uns dann nur noch aufs Bett. Unter sternenklarem Himmel eine letzte Zigi und die Seilschaft, die wir spätnachmittags schon beim Abstieg beobachteten, ist nun etwa beim 3. Couloir angelangt. Hoffentlich wir morgen nicht, es ist so gegen halb Zehn.
Eigentlich wollten wir Viertel vor Sechs starten, aber das nur noch viertel Kraft laufende Köcherlchen lässt uns erst um halb Sieben springen. Im Osten schon der hoffnungsvolle Lichtstreifen. Oben am 3. Couloir stehen wir in der Sonne, die Erkundung hat sich zum zweiten Mal ausbezahlt. Dank der guten Spur in der ideal eingeschneiten Flanke ist die Route nun einfach zu finden.. Ich staune über die vielen Eisenstifte, aber man bedenke, es gibt viele Bergführer, die vielleicht mal Grossvater werden möchten. Wir steigen in der Sonne, im Windschatten, fast gemütlich, fast wie eine Normaltour. Nach Übersteigung einer weiteren Rippe (Gebiss) ist die Solvay-Hütte schon ganz nah. Tatsächlich, unter der unteren Moseley-Platte seilen Zwei ab. Peter spricht ein paar Worte mit ihnen, italienisch? Er führt die Tour, es ist seine Idee, ich ersetze nur die fehlenden Bremsen. Dann kreuze ich die Frau - ola! – Spanier. Ich packe mein Spanisch aus, ist ja echt gesellig, ds Horu. Dann endlich in der Solvay, Brotzeit. Seit zwei Stunden wieder auf dem Grat selbst, herrlicher Tiefblick in die Nordwand. Peter testet das Clo. Wo sind denn eigentlich unsere österreicher Freunde, die nach uns gestartet sind? Die Flanke ist von oben zu unübersichtlich, also weiter. Gleich vor dem Biwak die untere Moseley-Platte, gleich danach die Obere. Beide heissen Arbeit, aber Platten sind’s nicht, „nur“ Steilstufen. Überhaupt wird nun alles etwas steiler. Wir steigen stetig und still weiter, das Gelände wird nicht schwerer, aber anstrengender. Ich fühle mich seit der Rast irgendwie wie in einem Kokon. Das Schneefeld zur Schulter, wieder die vertrauten Eisenstifte, der „Schultergrat“, auf dessen halber Höhe erneut die hier berühmten Fixseile beginnen, bester Hanf? Wir sind froh um die Dinger, auf keinen Fall wegrauchen! Direkt vor unserer Nase der senkrecht scheinende Aufschwung aufs Dach, der dann doch erstaunlich einfach zu erklettern ist. Meine nass geschwitzten Handschuhe knirschen – hoppela, eingefroren! Schon seit kurz vor der Schulter begleitet uns ein giftig kaltes Brieschen. Auch das Dach, in bestem hartem Firn, fordert seine halbe Stunde. In meinem Kokon dämmert mir, dass wir es tatsächlich schaffen, unglaublich, wir stehen auf dem Gipfel des Horu! Schon nach dem ersten Foto ist der Akku leer, gute Gelegenheit, auch die Handschuhe zu wechseln. Peter will natürlich noch auf den italiener Gipfel, aber in Anbetracht der Zeit (13 Uhr) und Kälte (mit dem Wind -10°?) kann das Alter die ungestüme Jugend überreden. Die Fixseile in der Steilstufe unter dem Dach erweisen sich als unglaublich nützlich, geradezu bequem. Die Schulter ist schon im Schatten, aber mit den frischen Handschuhen ist mir wohl. Leider wandert die Sonnen-Schattengrenze schneller als wir. Nach gleicher Zeit wie hoch stehen wir in der Solvay, dem einzigen gemütlichen Pausenplatz hier oben. Unsere Freunde vom EM-Partner sind seit ner Stunde hier. Sie wollens morgen probieren – vielleicht. Wir müssen weiter, die Spannung bleibt, wird nun noch leicht angeheitzt durch die drohende Nacht. Trotzdem, mein Kokon hat sich in Nichts aufgelöst, tief in mir spüre ich ozeanweite Gelassenheit. Wir steigen immer gleichzeitig ab, das Seil stets durch mindestens einen Sicherungspunkt gezogen. Nur kei Seich jetz! Gegen die Monterosa wächst der Schatten des Horns immer etwas schneller, als wir Höhe vernichten. Querung unter dem grossen Turm (alte Hütte), das Rundhölzchen unter einem Überhang dort ist mir beim Aufstieg gar nicht aufgefallen. Immer weiter runter in dieser nun tiefblauen Flanke, die Stunden verdunsten. In der Dämmerung stehen wir oben am 3. Couloir, über dem 2. zünden wir die Stirnlampen an und ca. eine Stunde später sind wir vor der Hütte. Ja, ja, die Erkundung...
Auf dem Weg zurück nach Schwarzsee kreuzen wir etliche Tagestouristen, jeder Zweite fragt: „Ja, wart ihr wirklich oben?“ Schön, sagen zu können, ja, ganz oben. Ich hab nun meine Meinung über diesen Berg gründlich revidiert. So isoliert, wie er dasteht, so einzigartig ist sein „Normalweg“. Vom Einstieg bis zum Gipfel gibt’s keine entspannenden Phasen, ausser der Pause in der Solvay, und runter hat man mindestens so lange wie rauf. Eine grossartige Tour um diese Jahreszeit. Das Erlebnis um so tiefer, wenn man fast alleine in dieser Flanke unterwegs ist. Lieber Peter, herzlichen Dank für die Realisierung Deiner verwegenen Idee und dass Du mir ds Horu ins Herz zurück gebracht hast.
Bericht und Fotos: Rolf Glauser ⇐
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